Interview mit Markus Haupt

Interview mit Markus Haupt

Digitalisierung ist kein Zweck, sondern ein Werkzeug

Im Interview mit Automobil Produktion spricht Markus Haupt, Vorstand Produktion & Logistik, Seat S.A., über Besonderheiten auf der iberischen Halbinsel, gute Ideen vom Shopfloor und die logistischen Herausforderungen der jüngeren Vergangenheit 

Sie sind erst vor wenigen Monaten von Volkswagen Navarra in Pamplona zu Seat nach Barcelona gewechselt, sind dort nun Vorstand für Produktion und Logistik. Welche Lehren aus Pamplona haben Sie mitgenommen?
Ich war zuvor bereits bei Volkswagen in Portugal, kenne also alle drei Standorte auf der iberischen Halbinsel gut. Allen Standorten ist vor allem eines gemeinsam: Sie verfügen über eine ausgeprägte Lean-Kultur – aus wenig Ressourcen möglichst viel herausholen. Natürlich gibt es auch Unterschiede, jeweils ganz eigene Herausforderungen. Deshalb bin ich überzeugt, dass es eine ganz ausgeprägte Kultur des Austausches geben muss. Die Standorte können und müssen voneinander lernen. Das hatte ich schon in Pamplona organisiert und das lebe ich nun auch in Barcelona. Die handelnden Personen spielen bei diesem Austausch eine zentrale Rolle. 

Markus Haupt, SEAT S.A. Vorstand für Produktion und Logistik

Wie sieht denn in Bezug auf den Produktionsverbund Ihre Elektro-Roadmap aus? 
Es ist bekannt, dass der Volkswagen-Konzern große Investitionen auf der iberischen Halbinsel macht. Nicht nur im Fahrzeugbau, sondern auch mit der Gigafactory. Wir leiten den Small BEV Cluster für verschiedene Marken der Gruppe. Zwei Hebel müssen wir für den Übergang vom Auto mit Verbrennungsmotor zum elektrifizierten Fahrzeug umlegen. Auf der einen Seite sind das die technologischen Herausforderungen. Über alle Gewerke hinweg müssen wir Anpassungen vornehmen, brauchen beispielsweise neue Pressen im Presswerk. In der Montage werden wir eine dezidierte E-Linie einführen. Zwei Fahrzeuge auf einer Plattform mit einem hohen Anteil an Gleichteilen lassen sich auf einer eigenen Linie einfach am produktivsten fertigen. Der zweite Hebel – und den halte ich fast für wichtiger – ist der Mensch. Denn am Ende müssen die Beschäftigten auch in der Lage sein, diese neuen Fahrzeuge zu bauen. Wir investieren massiv in Weiterbildung und Umschulung, haben verschiedene Module definiert. Denn am Ende werden die Veränderungen nicht für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichermaßen hoch sein. 

Thema Innovationen. Nicht selten kommen gute Ideen direkt vom Shopfloor. Wie ist das bei Seat? 
Das ist bei uns definitiv auch so! Alle Beschäftigten können sich einbringen. Dafür haben wir ein Ideenprogramm ins Leben gerufen, das jedem offensteht. Die besten Ideen werden am Ende auch honoriert. Solche Programme motivieren die Mitarbeiter ungemein. Wir haben etwa Teams, die sich explizit mit Karakuri auseinandersetzen und schauen, wo sich mit einfachen und kostengünstigen Mitteln Automatisierungen herstellen lassen. Ich glaube, niemand kann ein Problem besser lösen als die Menschen, die jeden Tag darauf stoßen.  

Der Mensch ist ein Quell der Innovation, die Digitalisierung ist ein anderer. Wo sehen Sie die größten Hebel in der Fertigung, die sich mit digitalen Tools umlegen lassen? 
Ich sage immer: Digitalisierung ist kein Zweck, Digitalisierung ist ein Werkzeug. Sie ist ein Mittel, um unsere Prozesse effizienter zu gestalten und Arbeitskräfte zu entlasten. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus der Produktion: Wir verfolgen die Vision „Null Nacharbeit“. Über Computer Vision und künstliche Intelligenz können wir etwa Fehler an den Fahrzeugen erkennen und deutlich gezielter als früher die Nacharbeit organisieren. Das ist aber nur der erste Schritt. Unsere Vision ist es, dass sich die Anlagen in Zukunft selbst nachjustieren, wenn bei der KI-gestützten Qualitätskontrolle Abweichungen auffallen. Bis zu dem Punkt, an dem diese Fehler gar nicht mehr passieren. 

Sie sind Vorstand für Produktion und Logistik. Macht Ihnen der Logistikpart momentan genauso viel Spaß? 
Wenn wir auf die zurückliegenden zwei bis drei Jahre schauen, war es eine absolut verrückte Zeit. Ich kann da nur unseren CEO zitieren: Die letzten 50 Jahre waren eigentlich langweilig im Vergleich zu dem, was in den zurückliegenden drei Jahren passiert ist. Das kann ich nur bestätigen. Egal ob Halbleitermangel, Coronapandemie oder Ukraine – unser Team musste extrem hart und rund um die Uhr arbeiten, um die Produktion weiter am Laufen halten zu können. 

Wie garantieren Sie und Ihr Team Transparenz und Flexibilität in der Lieferkette? 
Früher konnten wir von Monat zu Monat denken, diese Sicherheit hatten wir zuletzt nicht mehr. Wir mussten unsere Programme wöchentlich und teilweise täglich nachjustieren. Eine intensive Kommunikation mit unserem gesamten Lieferantennetzwerk war dabei wichtig, hier hat uns die Digitalisierung enorm weitergeholfen. So haben wir einen Control Tower entwickelt, der uns in Echtzeit Transparenz über die gesamte In- und Outbound-Logistik garantieren konnte – und das über ein Netz von mehr als 150 angebundenen Lieferanten. So wussten wir zu jeder Zeit, wo sich unsere Teile und Materialien gerade befinden. 

Da ist es sicher auch von Vorteil, sich in Sachen Logistik und Einkauf eng mit den anderen Konzernmarken austauschen zu können, um Unwägbarkeiten abzufedern. 
Das ist in der Tat ein riesiger Pluspunkt unseres Konzerns, der ja nicht nur innerhalb Europas sehr breit aufgestellt ist. So konnten wir uns im Verbund beispielsweise während der Coronakrise, die weltweit zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Auswirkungen und Restriktionen zur Folge hatte, häufig solidarisch zeigen. Waren wir im Lockdown, konnten wir auf die Hilfe aus unserem weltweiten Netzwerk bauen und Teile beziehen, um die Produktion aufrechtzuerhalten. 

Stichwort Konzernverbund: Ihr Skoda-Kollege Michael Oeljeklaus hat sich bei uns im Interview gegenüber dem Thema Mehrmarkenwerk durchaus aufgeschlossen gezeigt, auch Seat treibt diese Option um. Welches Potenzial steckt darin? 
Ich bin da mit Michael Oeljeklaus einer Meinung. Seat S.A. hat mit Mehrmarkenprojekten schon viele Erfahrungen sammeln können, beispielsweise mit beim Bau des Audi Q3 oder A1. Aber wir wollen im Bereich Mehrmarkenwerk einen Schritt weitergehen. Wir wollen künftig an einem Standort, an einer Linie, synergetisch Fahrzeuge einer Familie zusammenbringen, sozusagen eine Plattform mit mehreren Hüten. Um die Produktivität in den Produktionsprozessen zu erhöhen, setzen wir auf Konzeptgleichheit. Bedeutet in der Praxis: Mehrere Fahrzeuge verschiedener Marken sind gleich konstruiert, so dass der Werker nicht zweimal nachdenken muss, bevor er zum Beispiel eine Türverkleidung einbaut.

In der Autoindustrie geht es ja nicht nur darum, lokal emissionsfreie Produkte herzustellen, sondern sie auch möglichst nachhaltig und emissionsfrei zu fertigen. Welchen Weg gehen Sie hier? 
Ganz wichtig für uns sind Messinstrumente für unsere Prozesse. Wir arbeiten beispielsweise mit dem DKI, dem Dekarbonisierungsindex, der die gesamte Wertschöpfungskette von Supply Chain, Fahrzeugbau, Fahrzeughaltung bis hin zur Verschrottung abdeckt. Bei elektrifizierten Fahrzeugen macht interessanterweise nur ein Prozent dieses Index die Herstellung aus, ein Großteil des DKI fällt auf das Produkt selbst. Da könnte man jetzt dazu neigen, das zu vernachlässigen. Machen wir natürlich nicht. Die Verringerung von CO2-Emissionen soll mithilfe verschiedener Maßnahmen wie zum Beispiel dem Aufbau von Solaranlagen oder dem Fokus auf nachhaltigere Rohstoffe und Abfallvermeidung gelingen. Wir machen uns zudem erste Gedanken in Richtung Kreislaufwirtschaft, denn wir sind davon überzeugt, dass das längere Nutzen von Fahrzeugen und den verwendeten Materialien einen riesigen Impact haben wird. 

Das Interview führte: Pascal Nagel, Chefredakteur Automobil Produktion

Dies ist eine Kurzversion des Interviews mit Seats Produktionschef Markus Haupt.
Das komplette Gespräch lesen Sie in der Automobil Produktion 1/23 oder auf automobil-produktion.de